vom Aalschoker zur Tjalk zum Fahrgastschiff zum Plattbodenschiff
Mir wurde schnell bewusst, dass es mit einem Boot allein nicht getan war. Mindestens genauso wichtig ist es, einen Liegeplatz für das Boot zu finden. Ich möchte auf dem Boot leben, also sollte der Liegeplatz möglichst zentral gelegen sein. Am besten mitten in der Stadt und fußläufig zu einer S-Bahn Station. Sehr schwierig, wie sich zeigen sollte. Und wenn es einen gab, dann war dieser unfassbar teuer. Die City Marina machte mir ein Angebot von um die 600 Euro – im Monat. Der Traum vom Hausboot rückte in weite Ferne.
Mittlerweile hatte ich Kontakt zu diversen Marinas und Stegbetreibern. Die Mails an meine Eltern häuften sich. „Ich habe den perfekten Platz gefunden.“, „Das hier ist es doch“, „Jackpot!“, „Sofort kaufen!“ waren nur einige Betreffzeilen meiner Mails. Meine Mutter konterte: „Kein Strom“, „Zu Teuer“, „Was willst du da, das ist eine Insel?!“, doch einmal kam „Frag an!“.
Ich hatte tatsächlich einen Platz in der Altstadt Spandau. 300 Euro im Monat – sehr viel Geld für mein mickriges Azubigehalt, aber bezahlbar. Ich war voller Tatendrang und forcierte die Suche wieder auf Boote. Klassiker. Stahlpötte. Alte Berufsschiffe.
Die Bootssuche machte einen Heidenspaß. Ich konnte mir vorstellen auf jedem Boot zu leben. Eines hatte es mir gleich zu Beginn angetan. Ein Aalschokker aus dem Jahr 1918. Ein echter Klassiker. Das Boot lag in der Gegend von Dortmund und wurde von einem holländischen Ehepaar bewohnt. Als ich zur Besichtigung aufbrechen wollte kam die ernüchternde Antwort: „Wir haben heute verkauft“. Was für ein Mist. Mit dem Herren hatte ich monatelang Kontakt. Er hat mir ständig erzählt, dass es in Holland viel leichter sei, einen Liegeplatz zu bekommen und hat sich immer gewundert, warum ich mich so sträube das Boot zu kaufen, ohne einen Liegeplatz zu besitzen. Sei es drum. Haken dran. Ich wusste es würde ein anderes Boot auf mich warten.
Ich machte meine Suche im Boote-Forum öffentlich. Die Resonanz war enorm. Ich erhielt nach wenigen Minuten bereits viele Klicks und Antworten. Hier zeigte sich, wer mit mir auf der gleichen Wellenlänge war. Von „Wo ist der Champagnerkühler“ bis hin zu „Ach die paar Löcher im Rumpf, was soll schon sein“, war alles verteten.
Es kristallisierten sich eine Hand voll Mitglieder heraus, mit denen ich auf Anhieb gut konnte. Auch wenn ich bislang nur ein paar persönlich kennen lernen durfte, glaube ich Sie meine Freunde nennen zu dürfen. Das ist so unter Bootsbesitzern. Man teilt dasselbe, verrückte, teure Hobby und versteht den Gegenüber – meistens.
Schnell waren die maroden Angebote rausgefiltert. Mein Interesse galt einer Tjalk, ein Traum von einem Schiff. Teak Deck, Bugstrahlruder, gutes Längen/Breite-Verhältnis, kein Wartungsstau. Man hätte direkt einziehen können. Aber natürlich hatte das seinen Preis. Ich glaube 69.000 Euro. Nicht verhandelbar mit meinen Eltern. Im Nachhinein, wäre es wohl der kostengünstigere Deal gewesen.
Es hieß also weiter suchen. Ich suchte fast ausschließlich in Holland. Dort waren die Boote schöner, älter, günstiger. Leider sind die Boote dort oft über 15m lang, was damals in Deutschland ein Problem war, da der Sportbootführerschein eine maximale Länge von 15m erlaubte. Alles darüber erforderte ein Patent. Mehraufwand. Zusatzkosten.
Mittlerweile dürfen Sportbootführerscheinbesitzer Boote bis zu einer Länge von 21 Metern fahren. Es gibt allerdings bestimmte Vorschriften auf gewissen Schifffahrtsstraßen.
Ich wurde dann ausgerechnet bei Ebay Kleinanzeigen fündig. In Berlin. Mit Liegeplatz. Am nächsten Tag stand ich an der Rummelsburger Bucht. Ich war verabredete mit einem Herrn, der alte Fahrgastschiffe nach Berlin bringt, dort komplett entkernt und dann mit Gewinn verkauft. So auch die Reinwasser. Eine alte Fähre, welche zum Laborschiff umgebaut und anschließend als Partyschiff genutzt wurde. Mit einem Liegeplatz in der Rummelsburger Bucht?! Konnte das sein? Nicht wirklich, wie sich herausstellte. Das Land hatte mit dem weiter oben genannten Architekten einen Pachtvertrag. Dieser vermietete die Liegeplätze unter. Ohne Strom oder Wasser. Wir fanden über diverse Zeitungsartikel den Namen des Architekten heraus und fragten nach. Er duldet die Boote, sollte es aber zu einem positiven Entscheid seines Vorhabens kommen wären alle Liegeplatzverträge hinfällig.
So hatte der Verkäufer der Reinwasser uns das nicht geschildet. Und dafür war der Kaufbertrag für das Boot schlichtweg zu hoch. Es war ja quasi nur ein Stahlkasko.
Die Front der Reinwasser Das Achterdeck mit Aufstieg zum Dach Arbeitsplatz des Captain Bereit zum Innenausbau
Es war das erste Mal, wo meine Eltern es sich auch wirklich hätten vorstellen können, ein Schiff zu erwerben. Wir waren sogar ein 2. Mal vor Ort, um eine Probefahrt zu machen. Ich hing wirklich sehr an diesem Boot. Blieb weiterhin im Kontakt und versuchte meine Eltern zu überzeugen, aber keine Chance. Ich war demotiviert. Dachte das war es. Meine Eltern waren erneut die Bösen. Wenn sie dazu nicht ja sagen, dann auch zu keinem anderen Boot, dachte ich mir. Hier findet ihr den Thread zur Reinwasser im Boote-Forum (https://www.boote-forum.de/showthread.php?t=244127 )
Ich suchte nur noch sporadisch, las viel über andere, ähnliche Projekte im Boote-Forum und fand mich damit ab, wie jeder andere in einer Mietwohnung meinen Platz zu finden.
Weitere Wochen vergingen. Ich sagte den Liegeplatz in der Altstadt Spandau ab und konzentrierte mich auf die Ausbildung.
„Eine neue Nachricht“ – im Boote-Forum. Luis, ein mir bis dahin unbekannter User: „Hey Johnny, ich habe gelesen, dass du nach einem Boot suchst. Ich bin am überlegen mich wieder zu verkleinern und habe, so glaube ich, das perfekte Boot für dich. Lass uns mal telefonieren.“
So oder so ähnlich wurde ich angeschrieben. Ich schaute mir die Beiträge von Luis an und da sah ich den Treuen Gesellen das erste Mal. Seine Freundin und er hatten den Gesellen erst vor kurzer Zeit selbst erworben. Aber ein Kind war im Anmarsch und so verschoben sich die Prioritäten. Glück für beiden Seiten. Nach einigen Telefonaten und sympathischem Austausch von Ideen und Vorhaben verabredeten wir uns zu einer Besichtigung. Auch der Gesell hatte einen Liegeplatz. In Erkner. Stadtrand. Natur Pur, aber nicht zentral und mit 260 Euro im Monat auch nicht günstig. Dennoch, der Gesell war definitiv ein Kaufkandidat. Und Luis. war definitiv ein guter Verkäufer. Er selber war gerade am umbauen als wir dem Gesellen besichtigten. Es musste definitiv noch Zeit, Geld und Arbeit hineinfließen.
Es wurde aber auch schon viel getan. Der Motor war mit 300 Betriebsstunden gerade mal eingefahren. Das Getriebe war neuwertig und da es aus der Berufsschifffahrt stammt gut geeignet. Das Vorderschiff wurde genauso auf gedoppelt wie der Heckbereich des Schiffs. Auch wurden Teile des Innenraum neu konserviert. Ein neues enorm großes Seeventil wurde eingeschweißt. Technisch stand der Gesell gut da. Außerdem war gerade ein Elektriker an Bord, ein Freund von Luis – das machte Mut. „Die Elektronik wird gerade noch fertig gemacht“. Das stimmte leider nicht ganz, aber dazu mehr im Verlauf.
Wir waren alle sehr gespannt. Meine Eltern ein wenig mehr als ich, wunderte ich mich die ganze Zeit. Meine Eltern hatten zwar noch aus der alten Zeit die Segelscheine und damit wesentlich mehr Erfahrungen mit Booten als ich, aber keiner von uns hatte den SBF Binnen. War das klug? Ein Boot kaufen ohne vorher auf einem Boot gewesen zu sein, geschweige denn drauf gelebt zu haben – noch dazu ohne den notwendigen Befähigungsschein zu besitzen? JA! Das klingt sowas von nach mir.
Die Probefahrt fiel auf Grund von relativ starkem Wind ins Wasser. Wir erfuhren erst später von einem andern Anlieger am Steg, dass Luis die Einfahrt eines Tages nicht so ganz meisterte und den einen Dalben ordentlich crashte – eine Sache, welche mir auch noch passieren sollte.
Die Rückfahrt von der Besichtigung war entspannt. Ich hatte mir verschiedenste Argumente zu Recht gelegt, um meine Eltern überzeugen zu können. Wie kriege ich meine Eltern dazu, mir einen Haufen Geld zu geben, um mir ein Wohnschiff zu kaufen. Doch wie bereits oben erwähnt hatte das Luis bereits getan. „Cooles Teil“, „Stell dir mal vor, Raini, wir könnten damit nach Holland wenn wir in Rente sind“, „Doch, lass uns das machen“, meinte meine Mutter. Mein Vater kam mit seinem Standard Spruch: “Mich würde mal interessieren, was man da eigentlich kauft.“ „Wie kann Luis uns nachweisen, dass es sein Schiff ist?“. Irgendwann muss er mal echt schlechte Erfahrungen gemacht haben, oder er ist einfach etwas skeptischer. Zugegeben es war eine beachtliche Summer die Luis haben wollte, aber ich hatte in keinem Moment ein schlechtes Gefühl. Am Abend noch rief ich ihn an und vereinbarte, wenn er es denn verkaufen möchte würden wir es nehmen. Luis war perplex. Wir machten einen Termin aus zur Probefahrt, Einweisung und Übergabe des Bootes gegen Anzahlung.
Ich stand auf der Terrasse, auf die ich gegangen bin, um in Ruhe zu telefonieren. Nach Beendigung des Telefonats musste ich grinsen.